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Wie funktioniert eine Kampfmittelbeseitigung genau?

Sprengmeister Tim Hoferichter gibt Antworten

Warum werden in Niedersachsen eigentlich in letzter Zeit so viele Bomben gefunden? Was für ein Typ Mensch muss man sein, um so einen gefährlichen Job zu machen und wie sehr nervt es, wenn die Leute ihre Wohnungen nicht verlassen? Sprengmeister Tim Hoferichter hat alle eure Fragen beantwortet.

Wie bist du Kampfmittelbeseitiger geworden?

Ich bin hier durch Zufall gelandet. Man hatte damals einen Gas- und Wasserinstallateur gesucht, das ist mein Lehrberuf, und ich habe dann intern meine Ausbildung zum Munitionsfacharbeiter gemacht und später dann zum Truppführer und Sprengmeister.

Hast du keine Angst vor der Gefahr?

Wenn man anfängt, Angst zu bekommen, dann ist es vielleicht nicht mehr die richtige Arbeit.
Man sollte immer einen gesunden Respekt haben. Man sollte immer ein offenes Auge haben für die ganze Situation. Aber wir sind, wie auch der Feuerwehrmann oder die Rettungssanitäterin, gut ausgebildet. Wir wissen, was wir tun und arbeiten eigentlich routiniert unsere Aufgabe ab.

Wie entschärft ihr genau?

Es kommt immer auf den Zustand der Zündeinrichtung an, die verbaut ist bzw. wie stark sie beschädigt ist oder über die Jahre in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Wenn wir uns entscheiden, diesen Zünder oder diese Bombe zu entschärfen, dann geht die Bandbreite von der normalen Rohrzange tatsächlich bis hin zum Wasserstrahlschneidgerät oder anderen Spezialgeräten, die wir anbauen können, um den Zünder der Bombe rauszudrehen. Also da haben wir ein relativ großes Portfolio an Geräten, die wir dann anbauen.

Wie sieht euer Arbeitstag aus?

Wir fangen um 7.30 Uhr an und 16.30 Uhr machen wir Feierabend. Den haben wir leider nicht immer. Wir müssen uns individuell auf die einzelnen Fundsituationen einstellen.
Spannende Einsätze sind richtige Großlagen, wenn Krankenhäuser mit drin sind, wenn wirklich viele Leute evakuiert werden, wenn im Vorfeld eventuell eine relativ lange Planungsphase stattgefunden hat.

Wir bearbeiten ja aber nicht nur Fundmunition, sondern wir haben hier natürlich auch private Kampfmittelräumfirmen, die in ganz Niedersachsen arbeiten und auch in Deutschland. Und die wollen natürlich auch, dass die Munition abgeholt wird. Eine Besonderheit für uns in Niedersachsen auch ist die Nordsee. Das Entschärfen und Sprengen im Meer ist eine große Herausforderung.
Unser Arbeitsalltag ist so abwechslungsreich, dass wir morgens gar nicht wissen, was wir abends zu erzählen haben.

Wie geht es weiter, wenn euch ein Fund gemeldet wurde?

Als Team fahren wir sofort los zum Bombenfund. Wenn wir Glück haben, haben wir im Vorfeld schon mal ein Foto bekommen, damit wir eine grobe erste Einschätzung machen können. Und wenn wir an dem Kampfmittel oder der Bombe angekommen sind, müssen wir natürlich schnellstmöglich den Zünder identifizieren, weil das nachher für die weiteren Maßnahmen wichtig ist:
Wie schnell muss jetzt hier agiert werden? Können wir dieses Kampfmittel entschärfen und über die Straße zu einem sicheren Lager transportieren? Wenn ja, können wir mit der Gefahrenabwehrbehörde und den Hilfsorganisationen wie Feuerwehr, Malteser, Rettungsdienst und so weiter in die Planung der Evakuierung gehen. Falls wir zu der Einschätzung kommen, wir können nicht mehr entschärfen, müssen wir dann auch wieder in eine andere Planung gehen. Wir wollen ja Schaden von Mensch und Umwelt abhalten.

Wie können wir euch unterstutzen?

Wenn es zu einem Spontanfunk kommt oder einer geplanten Maßnahme, solltet ihr natürlich auf die Behörden hören. Auch wenn man sonntags raus muss, will Formel 1 gucken oder Fußball oder sich mit Freunden treffen, wäre es wichtig, sich trotzdem an die Anweisungen zu halten. Das macht uns das Entschärfen leichter, weil wir schneller zum Zuge kommen.

Warum ist eine schnelle Evakuierung so wichtig?

Wir können erst an dem Zünder arbeiten bzw. an der Bombe generell, wenn Sicherheit hergestellt ist. Es ist nämlich nie auszuschließen, dass auch so ein Kampfmittel mal ungewollt hochgeht. Daher dürfen wir und können erst arbeiten, wenn die Evakuierungsmaßnahme abgeschlossen ist und wir Sicherheit gemeldet bekommen. Deshalb ist es wichtig, dass die Evakuierung reibungslos funktioniert und alle Leute mitspielen.

Ärgert ihr euch über langsame Evakuierungen?

Wir kriegen wenig davon mit, warum es jetzt genau länger dauert oder nicht so lange dauert. Wir kriegen die ganzen Informationen erst im Nachhinein. Wenn Leute nicht aus ihrer Wohnung wollten und die Polizei musste dahin, ist das natürlich schade, aber das sind keine Sachen, worüber wir uns ärgern würden.

Wie könnt ihr so lange konzentriert bleiben?

Das ist die große Herausforderung bei uns, dass wir über so einen Tag, gerade bei Großkampfmitteln wie Bomben, permanent konzentriert bleiben müssen. Das klappt natürlich immer ganz gut, wenn man gute Kollegen hat, wenn man ein gutes Team hat.
Jeder hat ein Auge mit drauf, dass wir permanent über den Tag im Austausch bleiben und dass auch jede Meinung gehört wird und geschätzt wird und darüber diskutiert werden kann. Das hält die Konzentration hoch.

Hat deine Familie immer Angst um dich?

Wir stehen jeden Tag vor dem Problem, dass unsere Arbeit gefährlich ist. Das ist richtig. Der engste Freundeskreis und der Familienkreis funktioniert halt nur, wenn man ins Gespräch geht, wenn die Familie auch sieht, wie gut wir ausgebildet sind. Und das beruhigt dann natürlich auch Familie, Freunde, Freundin.

Warum gibt es in Osnabrück so viele Bombenfunde?

Osnabrück war ein Dreh- und Angelpunkt gerade für die Reichsbahn im Zweiten Weltkrieg. Dort war quasi ein Umschlagplatz, wo die Güter verlegt worden sind für ganz Deutschland. Und die Alliierten haben natürlich versucht, diesen Bereich auch gerade insbesondere das Lokviertel so stark zu bombardieren, dass dieser Versorgungszweig abgeschnitten wird.

Was ist der Vorteil, wenn ihr gleich mehrere Bomben gleichzeitig entschärft?

In Osnabrück z. B. haben wir eine riesengroße Fläche, die sehr stark bombardiert worden ist. Man hat heutzutage die technischen Möglichkeiten, eine Vorerkundung zu machen, ohne ein Kampfmittel auszubuddeln. Dabei findet man dann Anomalien, von denen man sagen würde, ja, das ist relativ gesichert ein Kampfmittel. In einer geplanten Maßnahme kann man dann diese Punkte öffnen und die Kampfmittel entschärfen und beseitigen. Hat den großen Vorteil, dass die Anstrengungen für die Gefahrenabwehrbehörden und die Hilfsorganisationen planbar wären.
Solche Kampfmittelfunde als Spontanfund, wie es leider auch schon mal im Lokviertel in Osnabrück vorgekommen ist, sind dann natürlich ein Worst-Case-Szenario, auf das man sofort reagieren muss und das ist natürlich eine Riesenkraftanstrengung.

Wie lange werden Weltkriegsbomben noch ein Thema sein?

Ich denke, gerade in der jetzigen Zeit wird das Thema Kampfmittel wieder aktuell, sehr aktuell vor dem Hintergrund der erneuerbaren Energiewindparks draußen in der See. Die Leitungen müssen durch die Erde gelegt werden. Ein alter Kollege von mir sagte immer, der letzte Schuss wird nie gefunden.